Der Metternicher Tanzsaal

Feiern vor 100 Jahren

Wenn wir die Uhr gut 100 Jahre zurückdrehen, bietet sich für uns ein heute vielen völlig fremdes Bild der Freizeitgestaltung und des Feierns:

Erstens gab es deutlich weniger davon: In einer Zeit, wo nur ein kleiner Bruchteil der Menschen auf dem Dorf einem Beruf mit klaren Anfangs- und Endzeiten nachging, gab es keinen klassischen "Feierabend". Es wurde gearbeitet, bis die Arbeit getan war und das oft bis spät abends und 6 Tage die Woche. Aus religiösen Gründen wurde am Sonntag nicht gearbeitet, bzw. nur dann, wenn es gar nicht anders ging, wie während der Ernte. Freizeit und Feiern gab es also vor allem am Sonntag sowie an den traditionellen Festtagen wie Kirmes, Ostern, Weihnachten, Karneval, usw. 

Zweitens konzentrierte sich das Feiern räumlich gesehen vor allem auf das Heimatdorf, allenfalls die umliegenden Orte. In einer Zeit, wo die Sichtung eines Autos noch ein exotisches Ereignis war, fand die Fortbewegung noch zu Fuß oder mit dem Pferd statt. Eine Fahrt nach Koblenz - heute das Hauptziel für amüsierwillige Jugendliche aus dem Dorf - glich einer kleinen Weltreise, die man nur für sehr wichtige Ereignisse auf sich nahm.

Die Orte des Feierns im Dorf waren unterschiedlich: Zum einen wurden manche Feste wie Weihnachten traditionell im Privaten gefeiert. Bei anderen Festen wie Ostern war vor allem die Kirche der Ort, wo sich die Dorfgemeinschaft zum festlichen Gottesdienst traf. Wiederum andere Feiern waren mit Umzügen oder Prozessionen verbunden, so Karneval, das Junggesellenfest oder Fronleichnam. Wer nach solchen Festlichkeiten noch das Bedürfnis nach Geselligkeit und einem kleinen "Absacker" hatte, der ging in die örtliche Gastwirtschaft. Dies war ab 1910 in Metternich das "Gasthaus zum Schrumpftal", besser bekannt unter dem Namen "Piese".

Die Zeit der Tanzsäle

Um die Jahrhundertwende war aber auch die Blütezeit der Tanzsäle: In immer mehr Dörfern wurde ein Raum geschaffen, wo öffentliche Feiern der Dorfgemeinschaft stattfinden konnten. 

Architektonisch und dekorativ glichen sich die Säle sehr. Wer sich ein Bild von diesen Sälen verschaffen möchte, der kann noch heute diesen Gebäudetyp in Freilichtmuseen besichtigen, so z.B. in der Eifel in Kommern oder im Hunsrück in Bad Sobernheim.

Oft gab man diesen Tanzsälen wohlklingende Namen: Einige wurden "Tivoli" genannt. Der Name leitet sich von der italienischen Stadt Tivoli ab, wo es eine berühmte Villa mit Gartenanlage zur Erholung gab. Er wurde dann ab dem 18. Jahrhundert für Parks und Freizeitviertel genutzt (z.B. 1766 der Tivolipark in Paris oder Anfang des 19. Jahrhunderts die berühmten Amüsierparks in Wien und Kopenhagen), ab Mitte des 19. Jahrhunderts dann insbesondere für Theater und Säle. Egal, was der Name nun bezeichnete, man wollte damit vor allem eines deutlich machen: Hier wird sich amüsiert!

Anders als in der heutigen Zeit wurden diese nur zum Teil kommunal errichtet: Die meisten Tanzsäle der Jahrhundertwende enstanden als Investition privater Geschäftsleute wie Wirten oder aber als Vereinsräumlichkeiten eines lokal ansässigen Vereins.

"Piese Saal"

1945: Der Metternicher Tivoli im Schnee

So kam auch Metternich zu seinem Saal durch die Investition des örtlichen Wirts: Der Wirt des Gasthauses "Zum Schrumpftal", kaufte in Koblenz 1910 einen Teil eines Tanzsaals.

Dieser Teil wurde dort komplett ab- und in Metternich wieder aufgebaut, und zwar direkt gegenüber von "Piese".

Er grenzte zur heutigen Eifelstraße hin an den ehemaligen Metternicher Backes, der heute ebenfalls nicht mehr existiert.



Das Innenleben des Saals

Um 1940: Der geschmückte Saal

Herzstück des Saals war der ca. 20 m lange und 20 m breite Tanzsaal. Zusätzlich gab es noch einen 6 x 4 m großen Anbau.

Im Tanzsaal befand sich eine mit aufwendiger Holzkrone verzierte Empore, auf der bei Feierlichkeiten "die Musik", also die Tanzkapelle saß. 

Der Saal bestand bis auf die mit Sandstein ausgemauerten Zwischenräume aus Holz und wurde bei Veranstaltungen von zwei Holzöfen beheizt.

Der Saal wurde, je nach Art der Veranstaltung, mit Tischen und Stühlen ausgestattet. In der Mitte blieb eine Tanzfläche frei.

Im Abstand von etwa 3 m von der Wand befanden sich im gesamten Saal Holzsäulen mit Rundbögen, die dem Saal noch mehr prunkvolle Feierlichkeit verliehen.


Um 1940: Glasbild im Saal

Ein Prunkstück waren zudem die bunten Glasfenster mit verschiedenen Motiven, die z.B. einen trinkfreudigen Handwerker zeigten. Diese Fenster stachen Passanten und Durchreisenden wegen ihrer prachtvollen Farben sofort ins Auge.. Unter anderem soll sich sogar einmal ein Pastor in den Tanzsaal, den er für eine Kirche hielt, verlaufen haben.

 

Später wurde zudem eine Kegelbahn eingebaut.





Von Bohnenball bis Theater: Feste im Saal

Doch was wurde nun im Metternicher Saal gefeiert?

Fragt man Metternicher, die diese Zeit noch erlebt haben, so fällt dabei zuallererst ein Begriff: Der Bohnenball.

Beim Bohnenball gab es für sämtliche Teilnehmer einen Berliner. Männer und Frauen bekamen ihre Berliner jeweils von getrennten Blechen, denn in jeweils zwei dieser Berliner - in einem für die Frauen und einem für die Männer - befand sich eine Bohne. Wer das Glück hatte, diese Bohne beim Essen des Berliners zu finden, durfte sich an diesem Abend "Bohnenkönigin", bzw. "Bohnenkönig" nennen. Der erste feierliche Akt des neuen Königspaars war natürlich dann der köngliche Tanz in der Mitte des Saals. Doch nicht jeder wollte Bohnenkönig(in) werden. Angeblich soll es vorgekommen sein, dass ein angehender, nicht besonders tanzbefähigter König, der die Bohne in seinem Mund bemerkte, diese einfach heruntergeschluckt habe, um dem Königstanz zu entgehen. Doch die überwiegende Mehrheit liebte den Bohnenball, und nicht wenige Beziehungen fanden hier ihren Anfang.

Der Saal auf einer Postkarte von 1927.

Die Nutzung des Saals beschränkte sich aber nicht aufs Feiern: Auch kulturell wurde der Saal in Form von Theateraufführungen Metternicher Laienschauspieler genutzt. Über die Jahre wurden hier vor allem Lustspiele und Schwänke aufgeführt, die bei feucht-fröhlicher Stimmung den fast immer voll besetzten Saal mehr als einmal zum Gröhlen brachte.

Die Kegelbahn wurde zum einen für verschiedene Kegelwettbewerbe genutzt. Zum anderen konnte sie aber auch als Schießstand genutzt werden. Unter anderem trainierten hier eine Zeit lang die Münstermaifelder Schützen.



Der langsame Ausklang: Der Saal bis zu den 1960er Jahren

Die Hoch-Zeit des Saals fiel in die Jahre von seiner Enstehung bis zum 2. Weltkrieg. Während diesem war verständlicherweise nur den Wenigstens zum Feiern zumute.

Als nach dem Ende des 2. Weltkriegs erst die amerikanische und dann die französisische Armee in Metternich Einzug hielt, wurde der Saal zu einem Auffanglager für Metternicher, die nicht länger in ihren Häusern bleiben konnten oder wollten. Dies waren vor allem jene, deren Wohnhäuser am Rand oder außerhalb des Dorfs lagen, wie z.B. der Feils. 

Nach 1945 begannen allmählich wieder die traditonellen Feste im Saal, die jedoch nichtmehr das Ausmaß der Vor- und Zwischenkriegszeit erreichten. Autos wurden für nahezu jedermann erschwinglich und so verlagerte sich das Feiern im Dorf immer mehr in größere Nachbarorte. 

Es wurde jedoch weiterhin gekegelt. Eine weitere Sportart kam in den 1960ern hinzu: Hockey. Die Metternicher Jugendlichen hatten nämlich erkannt, dass der leere Saal auch wunderbar als Sporthalle nutzbar war. Insbesondere trug man hier Duelle gegen den alten Rivalen aus Lasserg aus.

Die großen Räumlichkeiten wurden schließlich auch von der Stadt Münstermaifeld genutzt: Diese zahlte hier für einen gewissen Zeitraum in den 1950er und 1960er Jahren das sogenannte "Stempelgeld" für nur saisonal beschäftigte Arbeitnehmer aus. Problematisch war jedoch, dass sich direkt gegenüber des Saals die Wirtschaft von "Piese" befand, wo das immer dienstags erhaltene Geld sogleich investiert wurde. Ein beliebter Ausspruch aus dieser Zeit lautete daher: "Dienstags stembele, dunnerschdachs strambele." Um das zu vermeiden durften einige Stempelgeldempfänger dann nur noch in Begleitung ihrer Ehefrau das Geld im Metternicher Saal in Empfang nehmen.

Ende der 1960er Jahre war die große Zeit des Saals dann endgültig vorbei. Neue Brandschutzbestimmungen und Baufälligkeit hätten einen Komplettumbau des Saals nötig gemacht, der sich jedoch wohl kaum mehr gelohnt hätte. So entschlossen sich die Besitzer, den Saal nach ca. 50 Jahren aufzugeben.


Was vom Saal übrig blieb, Teil 1: Materielles

Der Saal verschwand aber nicht vollständig. Einige seiner Bestandteile existieren heute nach wie vor in anderen Gebäuden.

2015: Glasbild mit trinkfreudigem Handwerker








Das prachtvolle Glasfenster mit dem weintrinkenden Handwerker hat einen neuen Besitzer in Münstermaifeld gefunden. Hier hat eine Familie es in ihrer Wohnung eingebaut.








2015: Tanzboden als Fußboden in Roes

Der noch gut erhaltene Tanzboden wurde als Baumaterial nach Roes verkauft. Als Sahnetupfer gab es die hölzerne Emporenkrone dazu. Der Boden wurde von den neuen Besitzern in Roes zum Bau von Böden, Decken und Verkleidungen im rustikalen Stil genutzt. 

Mehr Bilder der heutigen Nutzung des alten Tanzbodens in unserer Bildergalerie.




2015: Teil der Holzkrone in Roes



Ein Teil der Holzkrone steht in der Scheune der Roeser Familie.





Was vom Saal übrig blieb, Teil 2: Erinnerungen

So spannend die Spurensuche nach den materiellen Einzelteilen des Saals auch ist: Was vom Metternicher Tivoli bleibt, sind nicht nur die Reste seiner Bauelemente.

Sondern es sind vor allem die vielen Erinnerungen bei den Metternichern, die diese Zeit erlebt haben. Das sind natürlich nicht nur Erinnerungen an den Saal selbst, sondern an das, was man in diesem Saal mit anderen erlebt hat, Gutes wie Schlechtes.

Ob es der erste Tanz bei Bohnenball mit der ersten Liebe war, der erste kleine Rausch vom Wein, der handfeste Streit mit einem Nebenbuhler, die Melodie der Lieder, die die auf der Empore sitzende "Musik" spielte, das erbärmliche Schreien des Kleinkinds mit den Ohrenschmerzen im Auffanglager, der erste Sieg gegen den langjährigen Münstermaifelder Kegelrivalen, die erste heimlich auf der leeren Kegelbahn gerauchte Zigarette oder das Spielen im später leerstehenden Saal als "Abenteuerspielplatz": "Piese Saal" ist auch ein Saal voller Erinnerungen.